Evangelisches Dekanat Vogelsberg

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          Die Orgel von Stockhausen und ihre spannungsgeladene Entstehungsgeschichte

          Jahr der Orgel: Was lange währt, wird endlich gut

          Trotz anfänglicher Hürden und Mühsal gelang es in Stockhausen, eine Orgel zu schaffen, die bis in die Gegenwart klanglich wie auch technisch samt pneumatischer Traktur im Originalzustand erhalten werden konnte. Den Weg dorthin hat Dr. Diana Rieger aufgezeigt.

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          Von Dr. Diana Rieger

          Schon von weitem sichtbar thront die evangelische Kirche Stockhausens mit ihrem markant spitz in den Himmel ragenden Turm über dem idyllisch gelegenen Ort, dem in mehreren Beschreibungen des Vogelsberges als besonderer Anziehungspunkt oft geradezu schwärmerische Würdigung zuteil wird, so auch bei Ludwig Boclo (1780−1856) oder bei Franz Como (1877−1958). Der steinerne, für ein Dorf fast monumental wirkende, prächtige Sakralbau wurde in den Jahren 1846−1849 auf dem Bockelberg errichtet, direkt an der Stelle der baufällig gewordenen Vorgängerkirche. Die Wahl des Bauplatzes für die erste Kirche war so spektakulär gewesen, dass sich Sagengeschichten um sie ranken. Herrschte doch vor der Grundsteinlegung Uneinigkeit darüber, ob der Kürberg (Kirchberg) oder der Bockelberg der geeignete Platz sei. Das Baumaterial wurde zwar auf den Kürberg getragen, aber an jedem Morgen danach lag es auf dem Bockelberg. Um diesen seltsamen Vorgang zu untersuchen, hielt ein mutiger Mann nachts Wache und schlief auf einem der herangeschafften Eichenstämme ein. Als er aufwachte, fand er sich mitsamt dem Eichenstamm auf dem Bockelberg wieder. Da erkannten die Menschen, dass es Gottes Wille war, die Kirche eben dort zu erbauen. Der mit der nahegelegenen Schlossanlage von Stockhausen harmonisch korrespondierende, repräsentative Kirchenneubau entstand unter dem Patronat der freiherrlichen Familie Riedesel unumstritten hier.

          Betrachten wir die Kirche genauer: Drei Pforten gewähren Einlass, das Hauptportal befindet sich selbstverständlich in der Mitte. Nach Betreten des Kirchenschiffes richtet sich der Blick unmittelbar auf den Altar und die dahinter exponierte Kanzel. Der in geschmackvoll-dezenter Farbgebung ausgeschmückte Innenraum unterstreicht die Würde des architektonischen Meisterwerks. Symbolische Darstellungen der vier Evangelisten zieren die Eckpunkte der Decke. Auf der dem Altar gegenüberliegenden Empore ist die Orgel aufgestellt, deren Entstehungsgeschichte dank eines umfassend erhaltenen Briefwechsels zwischen Bauaufsicht und dem in Lich ansässigen Orgelbauer Johann Georg Förster (1818−1902) dokumentiert ist. Spannungsgeladen verliefen Verhandlungen und Umsetzung sowie die im Nachgang unmittelbar erforderlichen Reparaturen. Zugleich geben die Schriftstücke Zeugnis davon, wie enorm wichtig gerade die Orgel als ein Herzstück der neuen Kirche befunden wurde.

          Am 9. September 1847, also zeitnah nach Grundsteinlegung des zu errichtenden Gotteshauses, war die offizielle Beauftragung zum Orgelbau erteilt worden. Eine stattliche Summe von 2000 Florin durfte das zweimanualige, mit Pedal versehene Instrument kosten. Intensive Überlegungen von Bauaufsicht und Orgelbauer zur Konstruktion folgten, beispielsweise hinsichtlich der Spieltisch-Aufstellung; der Kirchenvorstand hegte „den lebhaften Wunsch“, diesen vor dem Prospekt so zu positionieren, dass der Organist in den Kirchenraum hinein, also auf Altar und Kanzel schauen kann.

          Die Arbeitsfortschritte gingen nur schleppend voran. Die im Ton sehr bestimmten, teils vehementen Schreiben seitens der Bauleitung ermahnen wiederholt zur Einhaltung des vorgegebenen Zeitrahmens. In einem amtlichen Dokument vom 12. November 1849 fordert der Kreisbaumeister den säumigen Orgelbauer Förster sogar auf, in Alsfeld vorstellig zu werden; seine Anreise sollte bereits am Samstag erfolgen, „damit […] der Sonntag ungeschmälert zur Arbeit bleibt“! Das anberaumte Treffen fand jedoch nie statt.

          Die aus Sicht Försters sicherlich deutlich verfrühte Orgelübergabe ereignete sich am 7. Oktober 1850. Zu dieser Frist waren wichtige Arbeiten noch nicht fertiggestellt, Feuchtigkeit und Kälte verursachten gravierende Schäden − man sprach von „Schimmel mit halb Finger langen Haaren“. An wichtigen Teilen der Orgel wie den Magazinbälgen waren aufwendige und schwierige Reparaturen notwendig, welche Förster „von Morgens halb fünf Uhr bis Abends zur dunklen Nacht hinein [ausführte], nebst [...] zwei [seiner] besten Arbeiter, sieben Wochen“ lang (so im Schreiben vom 27. Oktober 1851).

          Trotz anfänglicher Hürden und Mühsal gelang es schließlich, eine Orgel zu schaffen, die bis in die Gegenwart klanglich wie auch technisch samt pneumatischer Traktur (das ist ein spezielles Übertragungssystem zwischen Spieltischfunktionen und Windversorgung der Pfeifen) im Originalzustand erhalten werden konnte. Nach wie vor kümmert sich die bewährte traditionsreiche Orgelbaufirma Förster&Nicolaus zuverlässig um den Fortbestand des historisch wertvollen Instruments; 2018 wurde eine Renovierung durchgeführt.

          Johann Georg Förster gestaltete die Orgel Stockhausens nach den modernen Vorstellungen seiner Zeit, so wählte er vorrangig sonore, grundtonlastige, orchestral angelehnte Register. Typische Bezeichnungen wie Viola da Gamba, Geigenprinzipal, Violine, Flauto dolce, Oboe und Gemshorn verweisen auf die Inspiration durch Streich- und Holzblasinstrumente. Sowohl die zarten als auch die vollen, majestätischen Klänge von Försters meisterlich gefertigtem Instrument machen die Orgelmusikästhetik des 19. Jahrhunderts erfahrbar.

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