Evangelisches Dekanat Vogelsberg

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          Tagesandacht in diesen Zeiten von Pfarrer Peter Weigle, Gruppenpfarramt

          Bleiben Sie gesund!

          Diese Worte sind zum verbreitetsten Gruß in unseren Tagen geworden. Die Apothekenrundschau wirbt mit dem Slogan ‚Hauptsache gesund‘. Und in diesen Tagen kreisen unsere Bemühungen im Wesentlichen um das Thema Gesundheit. Das ist sicher gut und richtig. Aber zugleich ist es irreführend, denn Gesundheit alleine sichert nur das Überleben. Die Frage aber, wie wir leben wollen, ist damit noch nicht beantwortet.

          Auch in der Heiligen Schrift und besonders in den Evangelien ist Gesundheit ein zentrales Thema. Wenn man christlicherseits über das Thema Heilung nachdenkt, fallen einem sofort die Heilungstaten Jesu ein und seine Worte: „Dein Glauben hat Dich gesund gemacht!“ In der Folge haben viele den fatalen Umkehrschluss gezogen, dass Krankheit eine Folge mangelnder Glaubenstiefe oder spiritueller Reife sei. Ein Umkehrschluss, der zynisch, unreif, dumm, menschenverachtend und irreführend ist. Viele große Heilige aller Glaubenstraditionen waren sehr kranke Menschen. Sie mögen krank gewesen sein, aber waren sie deshalb un-heil? Nein! Gesundheit und Heilung, Gesundheit und Heil (im Sinne eines erfüllten Lebens) sind keine Synonyme.

          Von Sigmund Freud Stammt die Bemerkung, Glaube oder Spiritualität seien eine „schwächliche Krücke für emotionale Krüppel.“ Dagegen betonte der berühmte Arzt
          Dr. Herbert Benson, der dreißig Jahre zum Thema Glaube und Gesundheit geforscht hat: „Ob Gott nun wirklich existiert oder lediglich eine Einbildung des Gehirns ist, das sich nach ihm sehnt – auf jeden Fall werden die, die an ihn glauben, gesünder.“

          Schauen wir uns in unserer Gesellschaft um, so sind Glaube und Heilung seltsamer Weise auseinanderdividiert und in zwei Hälften zerschnitten worden. Wir begegnen einerseits einer Heilkunde, die in ihrem Forschen, Therapieren und Behandeln in aller Regel nicht mehr mit Gott rechnet und wir begegnen einer Religion oder Religionen, die in ihrem Glauben den Körper vergessen und als zu vernachlässigende Größe eher geringschätzen.

          Ist nur heil, der gesund ist? Oder gibt es eine höhere Gesundheit hinter den Krankheiten und hinter dem Leiden, die womöglich vitaler und fruchtbarer ist als die Normalität der immer Gesunden und als die Fitness mancher von Kraft und oft auch von Selbstgefälligkeit strotzenden Kraftmeiern mit ihrem stumpfen Wohlbehagen. Das gibt auch André Gide zu verstehen, wenn er in sein Tagebuch schreibt: "Ich habe unter denen, die sich einer unerschütterlichen Gesundheit erfreuen, noch keinen getroffen, der nicht nach irgendeiner Seite hin ein bisschen beschränkt wäre, so wie Leute, die nie gereist sind".

          Und es gibt die ‚Gesundheitserbsenzähler’, die von einem homöopathischen Gluboli zur nächsten ayurvedischen Heilmassage, von einer Anwendung zur nächsten Behandlung rennen, und je mehr sie in sich hineinhorchen, desto kränker werden sie.

          Manches macht unser ‚Wunder Körper’ ganz von allein und ein Übermaß an Interventionsfuror schadet nur. Manchmal hilft auch schlicht, nicht so genau darauf achten. Das Leben heilt oft von ganz allein.

           „Glaube und Heilung“ – für dieses Thema bringe ich sozusagen existentielle Voraussetzungen mit. Als gelerntem evangelischen Pastor sollte mir eine besondere Affinität zum Thema Glauben eigen sein und als Mensch mit einer reichhaltigen Kranken- und Heilungsgeschichte von lebensbedrohlichen Krankheiten eine besondere Affinität zum Thema Heilung.

          Ich habe also auf den Pfaden von Erkrankung und Heilung diverse Erfahrungen machen dürfen. Mein Glaube hat mich nicht gesund gemacht, aber mir durchaus geholfen, verschiedene Krisenfälle zu überstehen. Ich habe mit Gott gehadert, ihn angeschrien, mich an ihm gerieben, mich in seiner Stille geborgen. Bei all dem wurde mir schnell bewusst, Heilung ist nicht notwendigerweise mit Gesundheit gleichzusetzen. Ich mag zwar nicht gesund sein und bin noch immer von meinen täglichen Medikamentendosen abhängig, empfinde mich aber durchaus als heil und geheilt. Wenn Heilung aber nicht gleich Gesundheit ist, worin liegt sie begründet? Warum lebe ich noch? Warum viele andere nicht? Haben sie weniger oder nicht genügend geglaubt, waren sie nicht spirituell genug? Und ist dieser Gedanke nicht grausam zynisch?

          Ich habe erfahren, dass viele aus meiner Sicht spirituell sehr tiefe, im Glauben verankerte Menschen sehr krank waren (oder sind). Glauben garantiert also keine Spezialimprägnierung gegen die Widerfahrnisse von Krankheit. Worin liegt also die heilsame Wirkung des Glaubens? Darin, dass man sich anders eingebunden weiß? Beteiligt an der großen wunderbaren Textur des Lebens? Dass man Teil einer Heilsgeschichte ist und das eigene Leben als Etappe dieser Heilsgeschichte begreift? Dadurch dass man weiß, diese Zeit auf Erden ist nur eine Transitreise und man ist zur Tafel eines anderen Königs geladen? Wo man - mit den Ahnen vereint - vollends verstehen und gutheißen wird? - Wie viel Sorge verdient dieses Etwas, das sich Ich nennt? Welche Bedeutung hat es, zu einem Wir gehören zu können? Welche Rolle spielt der Aspekt der Versöhnung – mit der eigenen Biographie, der Familie, der Gesellschaft, mit Gott?

          Besteht Heilung im Erwerb einer Art höherer Gesundheit hinter der Krankheit? Ist sie ein Zustand oder ein fortwährender Prozess, der immer wieder neu erkämpft und mühsam behauptet werden muss? Ist sie Gnade, eine innere Haltung, die aus dem Geschick der Krankheit und des Leidens in einem alchemistischen Prozess der Seele das Gold höherer Gesundheit gewinnt? Heilung wäre so verstanden alles andere als Freiheit von Krankheit. Sie wäre vielmehr ein geistiges Phänomen und hätte zu tun mit innerer Lebendigkeit, mit Lebenssinn und –horizont und mit der Fähigkeit, trotz Leiden und Anfechtung sein Leben zu führen, sich zu entfalten, sich in den Dienst zu stellen und zugleich der zu werden, der man ist. Solche Gesundheit bedeutete Lebenskunst und Wandlungsfähigkeit. Heilung wäre so Frucht einer Reifung, wundervolles Ergebnis einer inneren Kraft der Versöhnung, die es ermöglicht, trotz gefährdeter körperlicher oder psychischer Veranlagung, trotz Krankheit und Leiden, trotz seelischer Labilität und Anfechtung ein sinnvolles, hoffnungsvolles und glaubensorientiertes Leben zu führen. Geben Sie Gott in Ihrem Leben Raum - das wird Ihnen guttun, gerade in diesen Zeiten.

          In diesem Sinne verabschiede ich mich heute nicht mit dem Standardgruß unserer Tage, sondern wünsche Ihnen von Herzen ‚Bleiben Sie lebendig‘! Gott befohlen!

          Ihr Pfr. Peter Weigle

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