Evangelisches Dekanat Vogelsberg

Angebote und Themen

Herzlich Willkommen! Entdecken Sie, welche Angebote des Dekanats Vogelsberg zu Ihnen passen. Wir sind jederzeit offen für Ihre Anregungen. Nehmen Sie gerne mit uns Kontakt auf.

          AngeboteÜbersicht
          Menümobile menu

          Die Sonntagspredigt aus dem Dekanat

          Predigt zu Pfingsten

          Heute feiern wir den Geburtstag der Kirche, liebe Gemeinde! Wir feiern Geburtstag auf Abstand. Wir müssen uns vor dem Besuch die Hände desinfizieren. Und wir müssen während des Geburtstagsgottesdienstes Mund- und Nasenschutz tragen. Ein Geburtstagsständchen dürfen wir auch nicht singen, weil die dadurch ausgestoßenen Tröpfchen und Aerosole eventuell ansteckende Viren freisetzen.

          Kommt da eigentlich Geburtstagsstimmung auf. Statt 3000 Menschen, die sich nach einer flammenden Predigt zum Glauben bekennen, sitzen heute vielleicht 30 Personen in den Bankreihen, und die Predigt fällt eher kurz aus, weil wir ja nicht so lange Gottesdienste feiern sollen.

          Eine Geburtstagsfeier ohne Gäste, so habe ich das im Mai selbst erlebt. Eigentlich wollte ich mit meinen Freunden und Familie im neuen Heim feiern. Doch das war, so wie für viele andere auch, leider nicht möglich. Geburtstag zu haben löst unterschiedliche Empfindungen aus. Ich kann mich noch erinnern, wie ich die Tage bis zum Geburtstag herbeigesehnt habe. Mit zunehmenden Alter erschrickt man vielleicht, dass schon wieder ein Jahr vergangen ist. Ein Geburtstag, gleich ob man ihn ignoriert, still begeht oder mit lautem Getöse feiert, zeigt immer eines: Jemand ist am Leben. Pfingsten ist der Geburtstag der Kirche. Was wird da gefeiert – und was hat das mit uns heute zu tun?

          Das, was uns die Apostelgeschichte als Geburtsgeschichte des Christentums überliefert, ist verbunden mit einer gewaltigen Kraft. Mit Flammen der Inspiration. Menschen werden beseelt mit unglaublicher Geistkraft. Wortstrudel verbreiten sich auf wundersame Weise und werden von allen die dabei waren verstanden.

          Die erste Predigt des Apostels Petrus nach diesem Geiststurm trifft die Herzen der Menschen. Er greift zurück auf überlieferte Worte des Propheten Joel. Vertraute biblische Dichtung. Sie hilft ihm, dem Unbeschreiblichen Ausdruck zu verleihen. „Und Gott spricht, da will ich ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch; und eure Söhne und Töchter sollen Weissagen, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen, und eure Alten sollen Träume haben“. Diese prophetischen Worte machen es ihm möglich, das Erlebnis dieser besonderen göttlichen Erscheinung zu beschreiben.

          Das Pfingstfest, 50 Tage nach Ostern, trifft mit einem besonderen jüdischen Fest in Jerusalem zusammen. Schavuot, ein Erntefest, wird 50 Tage nach Pessach gefeiert. Bei diesem Fest steht die Erinnerung an eine andere gewaltige, göttliche Erscheinung im Mittelpunkt. Jüdinnen und Juden aus dem ganzen Land kommen nach Jerusalem zum Tempel gepilgert, um sich an die Offenbarung der 10 Gebote an Mose zu erinnern.

          Darum war an diesem ersten Pfingsttag die Stadt voller Menschen aus verschiedenen Ländern. In den Straßen hörte man ein Stimmengewirr aus vielen Sprachen. Dazu gehörte Hebräisch, Griechisch, Latein, Parthisch, Ägyptisch und vieles mehr.

          Die Erinnerung an die 10 Gebote ist auch die Erinnerung an den Aufbruch aus der Sklaverei und den Weg in die Freiheit. Die Israeliten erleben auch so etwas wie eine Geburt. Zu einer Geburtstagsfeier gehört eine Geburtstagstorte. Aus der jüdischen Tradition ist für das Fest Schavuot ein himmlisches Rezept überliefert. Eine siebenschichtige Torte wird gebacken, den sieben Sphären musste die heilige Weisung Gottes auf der Reise vom Himmel auf die Erde durchqueren, bis sie auf dem Berg Sinai ankam, und von Gott in Empfang genommen werden konnte.

          Auch das christliche Pfingstfest ist ein Ereignis, in dem sich Gott auf direktem Weg vom Himmel auf die Erde begeben hat. Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander. Draußen war das Fest im vollen Gange. Aber die Jünger Jesu trauten sich nicht aus dem Haus. Der auferstandene Jesus war nicht mehr bei ihnen. Er war in den Himmel aufgefahren. Wie sollte es jetzt weitergehen? Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen zerteilt, wie Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt vom heiligen Geist und fingen an, zu predigen in anderen Sprachen, wie der Geist ihnen gab zu sprechen.

          Dieses Ereignis machte großen Wirbel. Die Menge draußen lief zusammen und hörte, was die Jünger über Jesus Christus, seine Tod am Kreuz und seine Auferstehung verkündeten. Jeder hörte es in seiner Muttersprache. Darüber waren die einen sprachlos, die anderen erschüttert. Wieder andere spotteten: „Die sind betrunken!“  In diese Situation hinein hielt Petrus seine Predigt und es wird überliefert, dass sich 3000 Menschen spontan taufen ließen. Darum gilt Pfingsten als Geburtstag der Kirche.

          Was feiern wir an Pfingsten, wenn wir uns in den Kirchen versammeln? Wir feiern die Kommunikation zwischen Himmel und Erde. Es sind große Offenbarungsereignisse, an die an dem jüdischen Erntefest und dem christlichen Pfingstfest erinnert werden. Wir feiern, dass Gott sich uns als der Schöpfer offenbart. An Ostern hat er seine Schöpfermacht neu bewiesen. Er hat die Macht des Todes gebrochen. Christus ist auferstanden. Er ist zum Schöpfer zurückgekehrt. Doch Gottes Geist ist weiterhin am Werk.

          Offenbarungserlebnisse sind kommunikative Ereignisse von oben nach unten. An Pfingsten in Jerusalem war sie verbunden mit einer lebendigen Vielstimmigkeit.

          Was ist aus dieser Vielstimmigkeit geworden. Heute, viele tausend Jahre später leben wir in einer Kommunikationsgesellschaft. Viele Stimmen vermischen sich hier. Das Internet bringt unsagbar viele Botschaften in unsere Häuser. Manche verunsichern uns, andere bringen Menschen auf die Straße, fördern weniger den Zusammenhalt, dafür mehr Hass und Zwietracht.

          Manche vermuten sogar, dass die Corona-Krise die Sprachlosigkeit unserer Kirche ans Licht gebracht hat. Unsere Kirche und die Feier unserer Gottesdienste waren plötzlich nicht mehr systemrelevant. Gottesdienste durften nicht mehr stattfinden. Nächstenliebe musste auf Abstand gelebt werden, Distanz statt Nähe war auf einmal angesagt. Kritiker sagen, wenn heute die Helden der Krise gefeiert werden, sind die kirchlichen Vertreter nicht dabei.

          Die Kirche ist an Pfingsten mit einer gewaltigen Botschaft gestartet. Und jetzt wird sie kaum noch gehört. Ich denke, das Gegenteil ist der Fall. Was wir erleben ist ein neues, verändertes Kommunikationsgeschehen. Jesus hatte seine Jünger und unsere Welt verlassen. Seine Anhänger fühlten sich verlassen und nutzlos. Doch Gott zeigt uns an Pfingsten, dass auch aus großer Distanz Nähe entstehen kann. Das Evangelium sucht sich auch in dieser Krise seinen Weg. Gottes Geist weht wann und wo er will. Gott hat sich nicht in den Himmel zurückgezogen und überlässt uns unserem Schicksal.

          Pfingsten 2020 weht der Geist besonders stark in den virtuellen Welten, aber auch da, wo Nachbarn Andachten und Predigten an andere weitergeben. Er weht in den Medien, wo Menschen aus unterschiedlichen Lebenssituationen und mit unterschiedlichen Hintergründen täglich einen geistlichen Impuls veröffentlichen. Das Wort Gottes sucht sich stets Wege und erreicht Menschen neu.

          Kirche ist da, wo das Evangelium rein verkündigt wird, so heißt es in einer Bekenntnisschrift. Es steht nicht darin, dass dies nur und ausschließlich von unseren Kanzeln geschehen muss. Der Geist Gottes ist auf vielen Wegen unterwegs zu uns, nicht nur sonntags im Gottesdienst. Das zeigt sich in dieser Krise gerade ganz deutlich.

          Die Jünger werden aus ihrer Angst befreit durch dieses Erlebnis in Jerusalem. Sie geraten in Bewegung. Es entsteht Neues. Doch wie ist das heute?

          Für die Offenbarung Gottes ist es unbedeutend, ob wir uns in der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft befinden. In der Begegnung mit Gott können solche Zeitangaben verschwinden. Der Heilige Geist hält sich nicht an solche Zeitangaben. Es liegt an uns, ob wir weiterhin schmollend in unseren kirchlichen Räumen sitzen und bedauern, dass man heute eher Verkäuferinnen, Paketzustellern und Altenpflegerinnen zujubelt. Die Geistkraft von Pfingsten ist weiter unter uns am Werk.

          Pfingsten schenkt immer noch Freiheit, Aufbruch und Bewegung! Wer nach der Sprachlosigkeit wieder fähig ist zu Kommunikation, der kann etwas in Bewegung bringen. Auch heute! Die Offenbarung Gottes am Sinai ist ein Höhepunkt in der Befreiungsgeschichte des Volkes Israel. Unsere Pfingsterzählung knüpft an diese Tradition an. In der Verbindung beider Offenbarungsgeschichten entdecken wir einen wichtigen Lebensgrundsatz: Es geht darum, in Freiheit zu leben, im guten Miteinander. Es geht darum mit den Menschen im Gespräch zu bleiben und Sprachbarrieren zu überwinden. Und es geht darum, diese gewaltige Kraft Gottes, den Heiligen Geist, in mein Leben zu lassen. Amen.

          Diese Seite:Download PDFDrucken

          to top